In einer Diskussion zum Thema Wohnungen in Deutschland behauptete Nicola Beer, die Generalsekretärin der FDP, dass selbst Länder wie Portugal und Griechenland, die von Deutschland im Rahmen der europäischen Solidarität unterstützt werden, eine höhere Vermögensquote hätten. Aus dem Kontext ergibt sich, dass Nicola Beer mit „Vermögensquote“ der Anteil der Menschen, die in den eigenen Immobilien wohnen, meint – das heißt die Wohneigentumsquote. So betrachtet ist die Aussage korrekt, belegen unterschiedliche Studien. Nach Angaben des Europäischen Statistischen Amtes bildet Deutschland mit einer Wohneigentumsquote von 52 Prozent das Schlusslicht in der Europäischen Union. Eine transparentere Diskussion zum Thema sollte aber auch weitere Faktoren berücksichtigen, wie zum Beispiel die Wohnungsqualität. Laut Eurostat ist der Anteil der Bevölkerung, die in Portugal und Griechenland in schlechten oder zu kleinen Wohnungen wohnt, deutlich höher als in Deutschland. Außerdem zeigen die Zahlen, dass Wohneigentumsquote und Wirtschaftskraft eines Landes nicht korrelieren. Die Aussage der FDP-Politikerin bewerten wir somit als stimmt, ist aber vereinfachend.
FDP-PolitikerInnen haben sich im vergangenen Wahlkampf häufig zum Thema Wohneigentumsquote geäußert. Um die Aussage, dass es in Deutschland zu wenig Eigentumswohnungen gibt, zu bekräftigen, wurde in den meisten Fällen die Eigentumsquote Deutschlands mit anderen ärmeren Ländern Europas verglichen. In der N24-Sendung „Studio Friedman“ (ab min. 7:30) sagte Nicola Beer, dass „selbst Länder wie Portugal und Griechenland, die von Deutschland im Rahmen der europäischen Solidarität unterstützt werden, eine höhere Vermögensquote haben“. FDP-Chef Christian Lindner behauptete im dass „in Deutschland nur 48 Prozent der Menschen eine eigene Wohnung haben, deutlich weniger als in Ländern wie Belgien und Italien“. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, sagte im „Eins zu eins“-Gespräch des WDR: „Es gibt kein Land in Europa, wo es so wenige (Wohn-)Eigentümer gibt wie in Deutschland, und das in einem wohlhabenden Land“ (Ab min. 15.30). Dass das Thema mehrmals angesprochen wurde ist kein Zufall: die Finanzierung der eigenen vier Wände ist ein wichtiges Argument für die FDP, die in dem Eigentum eine Säule der Altersvorsorge sieht und Wohnungskauf für Familien fördern will.
Die Zahlen geben ihnen recht: auch wenn die Ergebnisse leicht voneinander abweichen, kommen unterschiedliche Studien zu dem Ergebnis, dass ungefähr die Hälfte der Deutschen zur Miete wohnt. Laut Eurostat (Abbildung 2) beträgt die Wohneigentumsquote insgesamt 52 Prozent (Daten 2015). Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) handelt es sich um 45 Prozent (Daten 2014). Vor allem beim einkommensschwächsten Fünftel der Bevölkerung sei die Wohneigentumsquote niedrig, schreibt das IW in einem Kurzbericht.
Quelle: Eurostat, 2017
Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland schlecht ab – niedriger ist die Eigentumsquote nur im Nicht-EU-Land Schweiz (43%). Auch die Eigentumsquote in Österreich (55%), Dänemark (62%), Großbritannien (63%) und Frankreich (65%) ist niedriger als der europäische Durchschnitt, während vor allem Bürger in Osteuropa häufiger in ihrem Eigentum wohnen. Ein Beispiel: In Rumänien, wo das BIP pro Kopf die Hälfte des deutschen beträgt, wohnen fast alle Menschen (97 %) in den eigenen vier Wänden. Woran liegt das?
Bei der Eigentumsquote eines Landes spielt dessen Wirtschaftskraft keine entscheidende Rolle, wie die Zahlen zeigen: relevant sind vielmehr Faktoren wie die politischen Rahmenbedingungen, die Attraktivität des Mietmarkts und, nicht zuletzt, die nationale Kultur. Die hohe Eigentumsquote in Rumänien lässt sich als Folge der massiven Privatisierung nach dem Ende des Sozialismus erklären; für die niedrige Eigentumsquote in der Schweiz spielen hingegen Faktoren wie der gut funktionierende Mietwohnungsmarkt eine entscheidende Rolle. Die Gleichung, dass reiche Länder auch eine hohe Wohnungseigentumsquote aufweisen, scheint nicht aufzugehen – deshalb erweisen sich Versuche, Eigentumsquote und Wirtschaftskraft in Bezug zu setzen, als irreführend.
Zwei der Hauptfaktoren, die die niedrige Eigentumsquote Deutschlands bisher beeinflusst haben, sind das soziale Wohnungsbauprogramm der Nachkriegszeit (nachdem ein Großteil des Immobilienbestandes vernichtet worden war) und der gut funktionierende Mietmarkt, der eine reelle Alternative zum Wohneigentum darstellt — das ist in vielen europäischen Ländern anders. Ulrich Ropertz, Sprecher des Deutschen Mieterbundes, sagte Spiegel Online: „In Deutschland ist die Wohnqualität im Bereich der Mietwohnungen sehr hoch. Eine Mietwohnung unterscheidet sich oft kaum von einer Eigentumswohnung. Wer zwischen beiden wählen kann, entscheidet meist nach rein finanziellen Kriterien.“ Michael Voigtländer, Immobilienökonom am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, sagte sueddeutsche.de: „In anderen Ländern hat Wohneigentum einen anderen Stellenwert. In Deutschland ist man als Mieter zufrieden – und eher vorsichtiger, was den Hauskauf angeht“.
Eine transparente, europaweite Diskussion zur Eigentumsquote sollte außerdem weitere Aspekte berücksichtigen, wie zum Beispiel die Wohnungsqualität. Ein wesentliches Kriterium zur Bewertung der Qualität von Wohnraum ist die Frage, ob der Wohnraum ausreicht. Weitere Kriterien sind zum Beispiel das Fehlen von Bad oder Toilette, ein undichtes Dach oder eine ungenügende Helligkeit der Wohnung. In Rumänien, aber auch in den von Nicola Beer erwähnten Ländern Portugal und Griechenland, ist der Anteil der Bevölkerung, die in schlechten und zu kleinen Wohnungen wohnt, deutlich höher als in Deutschland (Abbildungen 3 und 4).
Fazit: Unterschiedliche Studien zeigen, dass ungefähr die Hälfte der Deutschen in Eigentumswohnungen lebt – in Europa ist nur die Eigentumsquote in der Schweiz niedriger. Die Aussage von Nicola Beer, dass selbst Länder wie Portugal und Griechenland, die von Deutschland im Rahmen der europäischen Solidarität unterstützt werden, eine höhere Vermögensquote aufweisen, ist damit korrekt. Allerdings zeigen die Daten, dass Eigentumsquote und Wirtschaftskraft eines Landes nicht korrelieren. Um falsche Schlussfolgerungen zu vermeiden, sollte man diese Faktoren daher nicht miteinander in Verbindung setzen. Außerdem sollte eine transparente Diskussion zur Eigentumsquote europaweit auch wichtige Aspekte wie die Wohnungsqualität, in welcher Deutschland ziemlich gut abschneidet, berücksichtigen. Die Aussage der FDP-Politikerin bewerten wir deswegen mit einem stimmt und dem Zusatz vereinfachend.