Ein Interview der designierten Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zu konventionellen Pestiziden im Ökolandbau erhitzt die Gemüter. Wir haben Anton Hofreiters (Bündnis 90/Die Grünen) Reaktion überprüft:„[Diese Pestizide] verstoßen nicht nur gegen ein Grundprinzip des Ökolandbaus, sondern auch gegen EU-Recht.“ Diese Aussage stimmt nicht und ist irreführend.
In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte die CDU-Politikerin: „Um ihre Ernte zu sichern, würden viele Ökolandwirte gerne punktuell auf konventionelle Pflanzenschutzmittel zurückgreifen. Dürfen sie aber nicht. Manchen Bauern kostet das die Existenz – und viele hält es davon ab, den Weg in den Ökolandbau zu wagen. Wir müssen Ökolandwirten in schlechten Phasen den Gebrauch konventioneller Pflanzenschutzmittel erlauben können, aber dazu bedarf es weiterer Forschung. Aber natürlich auch der Zustimmung der Branche und Verbände. Das geht nur gemeinsam.“
Das Fachportal topagrar.com titelte daraufhin: „Klöckner will Ökolandwirten konventionelle Pflanzenschutzmittel erlauben.“ Eine Schlagzeile, die heftige Reaktionen auslöste. Gerald Wehde von Bioland, dem größten Anbauverband Deutschlands, sagte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: Der Verzicht auf Pestizide sei ein Grundprinzip des Ökolandbaus, das man nicht aushebeln dürfe. Außerdem könne kein Nationalstaat bei diesem Thema einen Alleingang machen. In ganz Europa gelte nämlich die EU-Ökoverordnung.
Auch die Grünen veröffentlichten zu diesem Anlass ein Pressestatement von Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender:
Der Vorschlag von Julia Klöckner ist unüberlegt und völlig abwegig. Dieser Schritt würde nicht nur gegen ein Grundprinzip des Ökolandbaus, sondern auch gegen EU-Recht verstoßen.
Die Verlautbarungen vom Bio-Verband und der Grünen geben vor, dass im Ökolandbau keine Pestizide – besser: Pflanzenschutzmittel – zum Einsatz kommen. Doch stimmt das überhaupt?
Dass der Ökolandbau komplett auf Pflanzenschutzmittel verzichtet, stimmt nicht. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit veröffentlicht auf seiner Website eine mehr als 120 Seiten umfassende Liste mit Pflanzenschutzmitteln, die explizit nach der von Herrn Wehde erwähnten Ökoverordnung zugelassen sind. Auch die Bioland-Richtlinien erlauben den Einsatz dieser Mittel. Voraussetzung für eine Zulassung im Ökolandbau ist die Natürlichkeit der Substanz, das heißt: Die Wirkstoffe sind pflanzlichen bzw. tierischen Ursprungs oder kommen als chemische Verbindung in der Natur vor.
Julia Klöckner hat auch nicht von einer generellen Erlaubnis von synthetisch-chemischen, ergo konventionellen Wirkstoffen im Ökolandbau gesprochen, sondern von Einzelfällen bei besonderen Umständen. Die entscheidende Passage ihres Interviews mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland lautet: „Um ihre Ernte zu sichern, würden viele Ökolandwirte gerne punktuell auf konventionelle Pflanzenschutzmittel zurückgreifen.“
Die CDU-Politikerin bezieht sich vor allem auf den Öko-Weinanbau, der im Jahr 2016, wegen eines Befalls mit „falschem Mehltau“ sehr schwierig war. Bis 2012 konnten Ökobauern bei dieser Krankheit Kaliumphosphonat einsetzen, das bis dahin als Pflanzenstärkungsmittel galt. Doch inzwischen ist Kaliumphosphonat als Pflanzenschutzmittel zugelassen und steht daher den Öko-Winzern nicht mehr zur Verfügung, weil es nun als „chemisch-synthetisch“ gilt. Zu den Ausführungsbestimmungen für den ökologischen Landbau gehört eine Positivliste, in der alle Substanzen aufgeführt sind, die im Biolandbau zugelassen sind. Chemisch-synthetische Substanzen sind dort nicht aufgeführt, folglich ist ihr Einsatz verboten. Allerdings enthält Artikel 22 der EG-Öko-Basisverordnung folgenden Passus:
(1) Die Kommission kann im Rahmen der Ziele und Grundsätze des Titels II und der Bestimmungen […] Ausnahmen von den in den Kapiteln 1 bis 4 festgelegten Produktionsvorschriften erlassen.Ausnahmen […] dürfen nur gewährt werden, wenn […] f) sie als befristete Maßnahme zur Erhaltung oder Wiederaufnahme der ökologischen/biologischen Produktion in Katastrophenfällen erforderlich sind.
Die Bundestagsfraktion der Grünen stellte 2017 eine ähnliche Forderung wie Klöckner heute:
Solange es keine Alternativen gibt, fordern wir die Bundesregierung auf, sich bei der EU für die Prüfung einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Zulassung von Kaliumphosphonat im Öko-Weinbau einzusetzen.“ Die Formulierung der Grünen „zeitlich und mengenmäßig begrenzte Zulassung“ unterscheidet sich nur marginal von der Klöckners „punktuell auf konventionelle Pflanzenschutzmittel zurückgreifen.
Fazit: Die Vorschriften der EU verbieten zur Zeit den Einsatz chemisch-synthetischer Wirkstoffe im Ökolandbau, eine Anpassung der Bestimmungen in Ausnahmefällen – und darauf bezieht sich die Aussage Klöckners – wäre jedoch möglich. Die Aussage Anton Hofreiters, dass es sich beim Einsatz dieses Mittels um einen Verstoß gegen das Grundprinzip des Ökolandbaus und gegen EU-Recht handelt, stimmt also nicht. Außerdem ist die Aussage irreführend, da sie suggeriert, es wären keinerlei Pflanzenschutzmittel im Ökolandbau zugelassen und Klöckner fordere nun eine generelle Erlaubnis. Sie ist besonders problematisch, weil die Grünen kürzlich noch selbst die Wiederzulassung von Kaliumphosphonat in bestimmten Fällen forderten.