Georg Pazderski, AfD

» Die tatsächlichen Kosten für die Vollversorgung der Flüchtlinge liegen deutlich über 21 Milliarden Euro.«

Der stell­ver­tre­tende AfD-Bundes­spre­cher Georg Pazder­ski behaup­tet in einer Pres­se­mit­tei­lung vom 18.05.2018, dass die deut­sche Bundes­re­gie­rung die tatsäch­li­chen Kosten für die Flücht­lings­krise verschweigt. Laut Pazder­ski liegen die Kosten für das Jahr 2017 bei 50 oder gar 55 Milli­ar­den Euro und nicht bei rund 21 Milli­ar­den, wie es einen Tag zuvor in verschie­de­nen Medi­en­be­rich­ten hieß. Diese Zahl wurde mitt­ler­weile durch einen Kabi­netts­be­schluss der Bundes­re­gie­rung bestä­tigt. Der AfD-Poli­ti­ker beruft sich in der Pres­se­mit­tei­lung auf das Insti­tut der Deut­schen Wirt­schaft und das Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung. stimmtdas.org ist diesen Quel­len nach­ge­gan­gen und hat heraus­ge­fun­den, dass die Zahlen so nicht stim­men. Die 50 Milli­ar­den sind eine Aufsum­mie­rung aus Schät­zun­gen für die Jahre 2016 und 2017. Die 55 Milli­ar­den sind das obere Ende einer mögli­chen Spanne, die in einer Studie ange­ge­ben wurde. Die Bundes­re­gie­rung veröf­fent­licht regel­mä­ßig Berichte zu ihren Ausga­ben im Bereich Asyl- und Flücht­lings­po­li­tik. Der Vorwurf der Verschleie­rung und Intrans­pa­renz kann hier nicht gelten. Der Aussage von Pazder­ski verpas­sen wir deshalb ein klares „stimmt nicht“.

Geflüch­tete an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn im August 2015. (Quelle: Gémes Sándor/SzomSzed; Wiki­me­dia)

Auf Anfrage, in welchen Studien der genann­ten Insti­tute die Zahlen genau zu finden sind, antwor­tete die Pres­se­stelle der AfD, dass man sich auf einen Gast­bei­trag Wolf­gang Boks in der Neuen Züri­cher Zeitung (NZZ)  bezo­gen habe. In dem Beitrag, der in der Kate­go­rie „Meinung“ im Septem­ber 2017 erschien, schreibt der Autor unter ande­rem: „Das Kieler Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung kalku­liert mit bis zu 55 Milli­ar­den Euro pro Jahr.“

55 Milli­ar­den als Worst-Case-Szena­rio des Kieler Insti­tuts für Wirt­schafts­for­schung
Ende 2015 veröf­fent­lichte das Insti­tut tatsäch­lich das Ergeb­nis einer Simu­la­tion zur Schät­zung der Flücht­lings­kos­ten bis zum Jahr 2022. Nach dieser Prognose könn­ten sich die Kosten für Inte­gra­tion und Versor­gung auf 55 Milli­ar­den Euro pro Jahr belau­fen. Aller­dings beschreibt diese Schät­zung das teuerste Szena­rio. Im güns­tigs­ten Fall, auch den haben die Forscher prognos­ti­ziert, könn­ten die jähr­li­chen Kosten bei rund 25 Milli­ar­den Euro liegen, was die AfD in ihrer Pres­se­mit­tei­lung uner­wähnt lässt.

Das Insti­tut der Deut­schen Wirt­schaft distan­ziert sich
In dem Arti­kel der NZZ heißt es weiter: „Das Insti­tut der Deut­schen Wirt­schaft (IW) kommt auf den Betrag von 50 Milli­ar­den, den auch der Sach­ver­stän­di­gen­rat für 2017 errech­net hat.“ Das IW bestä­tigte, dass die Zahl 50 Milli­ar­den tatsäch­lich aus einem Kurz­be­richt stammt, den es Anfang 2016 veröf­fent­lichte. Die Summe bezieht sich aller­dings auf einen Zeit­raum von zwei Jahren, wie Pres­se­spre­cher Leonard Goebel gegen­über stimmtdas.org. erklärte. Die Autoren des Berichts schätz­ten damals, dass sich die staat­li­chen Ausga­ben für Unter­kunft und Verpfle­gung von Geflüch­te­ten auf rund 17 Milli­ar­den Euro im Jahr 2016 und auf ca. 23 Milli­ar­den Euro im Jahr 2017 summie­ren würden. „Die Aussage stimmt also nicht“, sagt Goebel in Bezug auf die Pres­se­mit­tei­lung der AfD. In einer weite­ren Studie von Anfang 2017 korri­gierte das Insti­tut die Summe aufgrund der gesun­ke­nen Flücht­lings­zah­len außer­dem um 3 Milli­ar­den Euro nach unten und schätzte, dass sich die staat­li­chen Kosten für die Flücht­lings­hilfe im Laufe des Jahres auf knapp 20 Milli­ar­den Euro belau­fen würden.

Der Sach­ver­stän­di­gen­rat hat die Zahl nie heraus­ge­ge­ben
Im Gast­bei­trag der NZZ, auf den sich die AfD beruft, heißt es, auch der Sach­ver­stän­di­gen­rat habe den 50-Milli­ar­den-Betrag errech­net. Der Sach­ver­stän­di­gen­rat zur Begut­ach­tung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Entwick­lung, umgangs­sprach­lich auch als die fünf Wirt­schafts­wei­sen bezeich­net, gab im Jahres­be­richt 2015/2016 aller­dings keine Schät­zung für das Jahr 2017 ab. „Wir haben in unse­ren Veröf­fent­li­chun­gen keine Kosten­schät­zung von 50 Mrd. Euro abge­ge­ben“, erklärte eine Spre­che­rin auf Anfrage. Nach den aktu­ells­ten Berech­nun­gen (S. 289, Ziffer 583) des Sach­ver­stän­di­gen­ra­tes belau­fen sich die Ausga­ben für Flücht­lings­mi­gra­tion in den Jahren 2017 und 2018 auf maxi­mal 0,4 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes, was pro Jahr in etwa 10 bis 13 Milli­ar­den Euro entspricht. „Dieser Betrag liegt unter den Anga­ben der Bundes­re­gie­rung, da diese eine andere Abgren­zung vornimmt. Beispiels­weise werden von der Bundes­re­gie­rung noch 6,8 Mrd Euro für die ‚Bekämp­fung der Flucht­ur­sa­chen‘ einbe­zo­gen,“ so die Spre­che­rin.

Verschlei­ert die Regie­rung die Kosten für Grund­schu­len, Kinder­gar­ten­plätze, und Poli­zis­ten?
In der Pres­se­mit­tei­lung fordert Pazder­ski die Bundes­re­gie­rung abschlie­ßend dazu auf, „das Lügen und Verschlei­ern“ zu been­den und zum Beispiel zusätz­li­che Kosten für 180.000 Kinder­gar­ten­plätze für Migran­ten, 2.400 neue Grund­schu­len und 15.000 Poli­zis­ten trans­pa­rent zu machen. Die Zahlen stam­men eben­falls aus dem Arti­kel der NZZ. Gehen wir sie der Reihe nach durch:

180.000 Kinder­gar­ten­plätze für Kinder von Migran­tin­nen: Diese Zahl taucht online nirgendwo anders auf und es bleibt unklar, woher Pazder­ski bzw. der Gast­au­tor der NZZ sie genau bezie­hen. Aus dem Bericht über die Maßnah­men des Bundes zur Unter­stüt­zung von Ländern und Kommu­nen im Bereich der Flücht­lings- und Inte­gra­ti­ons­kos­ten, den die Bundes­re­gie­rung dem Bundes­tag jähr­lich vorge­legt, geht hervor, dass der Bund von 2017 bis 2020 insge­samt 1.126 Millio­nen Euro für den Ausbau der Kinder­ta­ges­be­treu­ung zahlt (S. 3–4) und sich so an den Kosten betei­ligt, die den Ländern und Kommu­nen durch die zusätz­li­che Aufnahme von Flücht­lin­gen entste­hen. Der Vorwurf, dass zusätz­li­che Kosten für Kitas verschwie­gen würden, ist unbe­rech­tigt.

2.400 Grund­schu­len: Diese Zahl stammt aus einer Studie der Bertels­mann-Stif­tung von Juli 2017. Darin heißt es (S. 6), aufgrund stei­gen­der Gebur­ten­zah­len und verstärk­ter Einwan­de­rung würden bis zum Jahr 2025 bundes­weit fast 2.400 neue Grund­schu­len benö­tigt. Die Zahl 2.400 ist also eine Hand­lungs­emp­feh­lung der Bertels­mann-Stif­tung. Der empfoh­lene Bedarf ist nur zum Teil auf erhöhte Schü­ler­zah­len durch Migra­tion zurück­zu­füh­ren. Was die Ausga­ben im Bereich Schul­bil­dung für Geflüch­tete angeht, so nennt die Bundes­re­gie­rung in ihrem letz­ten Bericht zu den Flücht­lings- und Inte­gra­ti­ons­kos­ten (S. 8) für das Jahr 2016 eine Summe von 87 Millio­nen Euro, die unter ande­rem für Maßnah­men zur Sprach­för­de­rung an Schu­len für Flücht­lings­kin­der ausge­ge­ben wurden. Auch hier macht die Bundes­re­gie­rung ihre zusätz­li­chen Ausga­ben trans­pa­rent.

Die 15.000 Poli­zis­tIn­nen stehen im aktu­el­len Koali­ti­ons­ver­trag. Darin verspricht die Regie­rung im Bereich der inne­ren Sicher­heit neue Stel­len in Bund und Ländern zu schaf­fen. Aufsto­cken will man unter ande­rem bei Sicher­heits­be­hör­den wie dem Bundes­kri­mi­nal­amt (BKA) und dem Verfas­sungs­schutz mit dem Ziel, Cyber-Krimi­na­li­tät und Terror zu bekämp­fen. Die AfD-Pres­se­mit­tei­lung sugge­riert, dass 15.000 neue Poli­zis­ten einge­stellt werden sollen, um sich allein mit Geflüch­te­ten zu beschäf­ti­gen. Auch das stimmt nicht.  

Was hat die Flücht­lings­krise laut Bundes­re­gie­rung gekos­tet?
In einem aktu­el­len Bericht, der Ende Mai vom Kabi­nett beschlos­sen wurde, heißt es, dass der Bund im Jahr 2017 insge­samt rund 20,8 Milli­ar­den Euro an Flücht­lings­hilfe geleis­tet hat. Davon gingen rund 6,6 Milli­ar­den Euro an die Länder und Kommu­nen, um sie bei der Inte­gra­tion der Geflüch­te­ten zu entlas­ten. Etwa 6,8 Milli­ar­den Euro inves­tierte Deutsch­land in die Bekämp­fung von Flucht­ur­sa­chen. Im aktu­el­len Finanz­plan der Bundes­re­gie­rung (S. 39, Tabelle 6) wird geschätzt, dass Kosten, die Bund und Ländern durch Asyl und Migra­tion entste­hen, in diesem Jahr wieder etwas anstei­gen werden, auf etwa 21,4 Milli­ar­den Euro.

Fazit: Die AfD stellt die offi­zi­el­len Zahlen der Bundes­re­gie­rung zur Flücht­lings­krise infrage und unter­stellt ihr die Verschleie­rung der wahren Kosten. Aller­dings hat die Partei keine vali­den Zahlen, mit denen sie ihre Vorwürfe bele­gen kann, wie dieser Fakten­check zeigt. Wenn man genauer hinschaut bzw. nicht zwei Jahre zu einem aufsum­miert, zeigt sich, dass die Anga­ben der Regie­rung sich mit den Schät­zun­gen des Insti­tuts für Wirt­schaft (IW) weit­ge­hend decken. Dieses hatte die Kosten für das Jahr 2017 auf 23 Milli­ar­den geschätzt. Nach den Berech­nun­gen der Wirt­schafts­wei­sen lagen die Ausga­ben im Jahr 2017 bei maxi­mal 13 Milli­ar­den Euro. Dabei rech­ne­ten die Exper­tIn­nen nur die Kosten in Deutsch­land ein und berück­sich­tig­ten nicht die Inves­ti­tio­nen im Ausland zur Bekämp­fung von Flucht­ur­sa­chen. Das Kieler Insti­tuts für Wirt­schafts­for­schung ließ in einer Studie einen brei­ten Spiel­raum von 25 bis zu 55 Milli­ar­den Euro. Die AfD verein­fachte hier massiv und nannte nur die Ober­grenze der Schät­zung, also die höchste Zahl. Diese und weitere Beispiele zeigen, dass genaue Kosten für die Aufnahme und Inte­gra­tion von Flücht­lin­gen schwer zu berech­nen sind, da oft eine allge­mein gültige Bemes­sungs­grund­lage fehlt. Der Bundes­re­gie­rung pauschal Verschleie­rung zu unter­stel­len, ist  jedoch schlicht­weg nicht korrekt, da Zahlen und Bilan­zen öffent­lich zugäng­lich sind.

Außer­dem wurden in der Pres­se­mit­tei­lung die Zahlen 180.000 Kinder­gar­ten­plätze für Migran­tIn­nen, 2.400 neue Grund­schu­len und 15.000 Poli­zis­tIn­nen genannt und in ein falsches Verhält­nis zur Frage nach den Kosten für Asyl­su­chende und deren Inte­gra­tion gestellt. Die Aussage Pazder­skis bzw. die gesamte Pres­se­mit­tei­lung bewer­tet stimmtdas.org daher mit „stimmt nicht“.

Anika Reker

Autor: Anika Reker

Anika hat in Dortmund und Leipzig Kulturwissenschaften (B.A.) und Journalistik (M.A. noch in Arbeit) studiert und beginnt im Oktober ein Volontariat beim WDR in Köln. Bei stimmtdas.org ist sie für Redaktionelles und sozialmediales Trallala zuständig. Außerdem schreibt sie selbst Texte. Warum bei stimmtdas.org: War von der Idee, mit Freunden ein eigenes journalistisches Projekt auf ehrenamtlicher Basis auf die Beine zu stellen und nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sofort angefixt.

3 Gedanken zu „Verschlei­ert die Regie­rung die wahren Kosten der Flücht­lings­krise in Höhe von 50 Milli­ar­den Euro? “

  1. Wenn Helmut und Mike nach dem Lesen des Arti­kels nicht schlauer sind, hat das nichts mit dem Arti­kel zu tun. Der hat Eindrucks­voll belegt, daß die AfD mit falschen Zahlen hantiert. Die Herkunft der Zahlen und ihre Irrele­vanz sind aufge­führt und genau darum ging es.

  2. Aus allen mir bisher zugäng­li­chen Zeitungs­be­rich­ten ist zu entneh­men, daß der Bund, und das heißt nur der Bund, alleine im Jahre 2017 rd 21 Mrd für die Migra­tion ausge­ge­ben hat. Progno­sen inter­es­sie­ren in diesem Zusam­men­hang nicht. Können von jeder­mann ange­zwei­felt werden. Auch nach dem Lesen des Beitra­ges von Fr. a. Reker bin ich nicht schlauer. Es gibt offen­sicht­lich keine Zusam­men­stel­lung der für den Bund, die Länder u. Kommu­nen ange­fal­le­nen Kosten. Tatsa­che ist, daß seit 2015 bei Groß­ver­an­stal­tun­gen wesent­lich mehr Poli­zis­ten einge­setzt werden. Auch die übri­gen ange­dach­ten Gründe für notwen­dige Ausga­ben sind nicht bezif­fert. Man macht sich offen­sicht­lich nicht die Mühe diese Kosten zu erfas­sen u. zu veröf­fent­li­chen. Der Verdacht, daß dies viel­leicht bewußt geschieht, ist nicht ganz ausge­schlos­sen. Man will den Rech­ten nicht Argu­men­ta­ti­ons­hilfe leis­ten. Das Urteil von stimmtdas.org hat mich nicht über­zeugt. Viel­mehr drängt sich der Gedanke auf, es darf nicht sein, was nicht sein darf.

    1. Das sehe ich ganz ähnlich wie Sie! Es ist keine wirk­lich über­zeu­gende Recher­che! Beide Seiten Würfeln mit Zahlen um sich, um am Ende doch auszu­sa­gen, dass die Kosten exor­bi­tant hoch sind und auch nicht sinken werden.

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