Die Behauptung von Sahra Wagenknecht, die großen Unternehmen bildeten kaum noch aus, stimmt teilweise, ist aber irreführend. Wagenknecht verwendet zur Untermauerung ihrer Aussage Daten aus einer Untersuchung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Während die Grenze, ab wann ein Unternehmen dem Mittelstand zugeordnet wird, in Deutschland nicht ganz klar definiert ist, legt die KfW diesen Begriff relativ weit aus. Dadurch vergrößert sich der Kreis von Mittelständlern, die für Förderungen durch die Kreditanstalt in Frage kommen. Die offiziellen Berufsbildungsstatistiken widersprechen jedoch den Zahlen der KfW.
Sahra Wagenknecht plädiert für eine stärkere staatliche Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, nicht aber von Großunternehmen. Am 11. März argumentierte sie als Gast in der Talkshow „Anne Will“ wie folgt:
„Die kleinen Unternehmen sind die einzigen, die noch wirklich Ausbildungsplätze bereitstellen; die großen machen das kaum noch.“
Wagenknecht bezieht sich in ihrer Aussage auf eine Untersuchung der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) aus dem Jahr 2016, wie das Büro der Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke auf Anfrage von stimmtdas.org bestätigte. Der Titel der KfW-Studie lautet: „Neun von zehn Auszubildenden lernen im Mittelstand – Handwerk geht voran”.

Dem steht die Datenlage des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) entgegen, einer nachgeordneten Dienststelle des „Bundesministeriums für Bildung und Forschung“, die jährlich den „Datenreport zum Berufsbildungsbericht“ veröffentlicht.Demnach sank die Zahl der Ausbildungsplätze in den Jahren 2008 bis 2016 über alle Betriebsklassengrößen hinweg, bei den Großbetrieben um etwa 50.000 Ausbildungsplätze auf rund 450.000.
Die Datenbasen der Statistiken unterscheiden sich in der Abgrenzung des Begriffes „Mittelstand“. Während das BiBB den Begriff in Übereinstimmung mit der Bundesagentur für Arbeit und dem KMU-Schwellenwert der EU (KMU=kleine und mittlere Unternehmen) verwendet, weitet der Mittelstandsförderer KfW den Begriff beträchtlich aus. Die Kreditbank ordnet auch Betriebe dem Mittelstand zu, die in der BiBB-Statistik als Großunternehmen geführt werden. So betrachtet beispielsweise die EU-Kommission Unternehmen bis zu einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro als mittelständisch, während die KfW diese Grenze erst bei 500 Millionen Euro ansetzt.
Und wessen Definition von Mittelstand ist nun richtig?
„Der Mittelstand ist ein eher deutscher Begriff und leider sehr ungenau definiert, was dann zu solchen Situationen führen kann“, erklärt Prof. Dr. Jörn Block von der Forschungsstelle Mittelstand der Universität Trier auf Anfrage von stimmtdas.org. Der Begriff und die Definition würden manchmal sehr weit gefasst, sodass fast alle Unternehmen, die inhabergeführt sind, darunter fielen.
Für die Interpretation des BiBB könnte letztendlich sein Gewicht als Behörde, die unmittelbar dem Bund unterstellt ist, sprechen. Als solche beeinflusst das BiBB mit jährlichen Berufsbildungsberichten nicht nur die Diskussion in der Bundesregierung, sondern auch in der Öffentlichkeit maßgeblich.
Fazit: Die Zahlen aus den Berufsbildungsberichten der Regierung sprechen eine andere Sprache als die der KfW-Untersuchung, auf die Sahra Wagenknecht sich beruft. Wagenknecht hat zwar recht, dass kleinere und mittlere Unternehmen in Deutschland das Gros der Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen obwohl auch dort die Zahlen zurückgegangen sind. Die Politikerin suggeriert aber, dass sich dieser Trend stetig verstärkt und Großunternehmen zunehmend weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Orientiert man sich an der Gewichtung von Bundesbehörden und nicht am Maßstab des Mittelstand-Förderers KfW, gab es im Jahr 2008 mit knapp 500.000 Ausbildungsplätzen tatsächlich noch rund 50.000 Ausbildungsplätze mehr in Großbetrieben. Seit 2010 hält sich die Zahl aber konstant auf einem Niveau von etwa 450.000 pro Jahr. Deshalb bewerten wir Wagenknechts Aussage mit stimmt teilweise, ist aber irreführend.
Recherchematerial (E‑Mail-Konversation mit Prof. Block)