Longread, Deutschland/Türkei

» Wie viele Leopard-Kampfpanzer hat Deutschland wann an die Türkei verkauft und handelt es sich dabei um einen Bruch des Völkerrechts?«

Seit Ende Januar 2018 gehen türki­sche Streit­kräfte gegen kurdi­sche Mili­zen in Syrien vor. Die Lage ist komplex und unüber­sicht­lich, doch was sicht­bar ist, sind Bilder von aus Deutsch­land gelie­fer­ten Leopard-Kampf­pan­zern. Ein Spre­cher des Auswär­ti­gen Amtes bestä­tigt, dass nach Anga­ben der türki­schen Regie­rung aus Deutsch­land gelie­ferte Leopard 2A4 Panzer im Rahmen der soge­nann­ten Opera­tion „Oliven­zweig“ der türki­schen Streit­kräfte einge­setzt werden. Auch wenn die Opera­tion seit der Einnahme der Stadt Afrin Ende März offen­bar been­det ist, die Debatte über Völker­rechts­ver­let­zun­gen und die Einstel­lung jeder mili­tä­ri­schen Zusam­men­ar­beit und jedes Rüstungs­ge­schäft mit dem NATO-Mitglied Türkei dauert an. Fakt ist, dass 1. deut­sche Leopard-Kampf­pan­zer vermehrt in die Türkei expor­tiert wurden und 2. diese im ggf. völker­rechts­wid­ri­gen Einsatz der Türkei im Syrien-Konflikt einge­setzt wurden. Durch mehrere Neben­be­din­gun­gen kann rein recht­lich (im Moment!) keine völker­recht­li­che Verant­wort­lich­keit Deutsch­lands fest­ge­macht werden, viele Fakten spre­chen aber dafür. Die Frage, ob Deutsch­land Leopard-Kampf­pan­zer in die Türkei expor­tiert hat und diese im Syrien-Krieg einge­setzt wurden, bewer­ten wir mit stimmt. Ob Deutsch­land damit das Völker­recht gebro­chen hat, ist noch nicht geklärt und damit unprüf­bar.

Leopard-Panzer beim Trai­ning. (Quelle: 7th Army Trai­ning Command/ Grafen­wo­ehr; Wiki­me­dia CC-BY 2.)

Wie viele und welche Kampf­pan­zer hat Deutsch­land in welchem Zeit­rah­men in die Türkei expor­tiert?

Einer schrift­li­chen Antwort der Bundes­re­gie­rung aus dem Jahr 2011 (S. 33) zufolge wurden Leopard Kampf­pan­zer in den Ausfüh­run­gen 1 und 2 in die Türkei gelie­fert. Leopard 1‑Panzer wurden demnach im Zuge der NATO-Vertei­di­gungs­hilfe durch das Bundes­ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium (BMV) an die Türkei expor­tiert. In zwei Phasen – einmal von 1982 bis 1984 und einmal von 1990 bis 1993 – sollen insge­samt 197 Leopard 1‑Kampfpanzer an die Türkei gegan­gen sein. Die deut­sche NATO-Vertei­di­gungs­hilfe für die Türkei wurde am 31. Dezem­ber 1994 been­det. Bedeu­ten­der Vertrags­punkt war dabei, dass sich die Türkei verpflich­tet, die gelie­fer­ten Waffen ausschließ­lich in Über­ein­stim­mung mit Arti­kel 5 des NATO-Vertrags einzu­set­zen. Demnach dürfen die erhal­te­nen Leopard-Kampf­pan­zer nur zur Vertei­di­gung gegen einen bewaff­ne­ten Angriff von außen einge­setzt werden.

Kommen wir zu den Export­zah­len des Leopard 2: Im Zuge des Ressort­ab­kom­mens zwischen den deut­schen und türki­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rien wurden von 2006 bis 2011 insge­samt 354 Kampf­pan­zer des Typs Leopard 2 A4 in die Türkei expor­tiert. Hier­bei wurde keine Vertrags­ver­pflich­tung im Sinne des Arti­kel 5‑Abkommens oder ähnli­ches getrof­fen. Jedoch darf die Türkei die Panzer nicht ohne Zustim­mung der deut­schen Bundes­re­gie­rung Drit­ten zur Nutzung über­las­sen oder weiter­ver­kau­fen. Von 1982 bis 2011 wurden somit laut Bundes­re­gie­rung 751 Kampf­pan­zer der Typen Leopard 1 und 2 von Deutsch­land in die Türkei gelie­fert (siehe Abbil­dung).

Wie schaut es im Jahr 2018 aus?
Kann oder muss im Zusam­men­hang der türki­schen Eingriffe Anfang 2018 in Syrien mit Leopard-Panzern aus deut­scher Produk­tion tatsäch­lich von einer Völker­rechts­ver­let­zung gespro­chen werden? Schauen wir zunächst auf die Export­zah­len: Laut einer Spre­che­rin des Bundes­ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums (BMV) wurden seit 2011 keine weite­ren Kampf­pan­zer in die Türkei expor­tiert. Dennoch war im Januar dieses Jahres eine Moder­ni­sie­rung (Minen­schutz­aus­rüs­tung) der türki­schen Leopard-Panzer durch Deutsch­land geplant. Aufgrund der Mili­tär­of­fen­sive der Türkei im Norden Syri­ens, soll die Entschei­dung über die geplan­ten Vorha­ben zur Aufrüs­tung erst durch die neue Regie­rung getrof­fen werden. Auf erneute Anfrage beim Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­rium (BMWI) und beim Auswär­ti­gen Amt wurde stimmtdas.org die Antwort erteilt, dass zu Voranfra­gen oder offe­nen Antrags­ver­fah­ren aufgrund des verfas­sungs­recht­lich garan­tier­ten Schut­zes von Betriebs- und Geschäfts­ge­heim­nis­sen der betrof­fe­nen Unter­neh­men keine Stel­lung bezo­gen werden kann.

Doch zurück zu den derzeit von der Türkei einge­setz­ten Leopard 2‑Panzern im Konflikt mit Syrien: Ist Deutsch­land durch den Export von Waffen­sys­te­men und der Möglich­keit des Einsat­zes dieser Waffen durch die Türkei völker­recht­lich verant­wort­lich? Den soge­nann­ten Draft Arti­cles der Inter­na­tio­nal Law Commis­sion (ILC) zufolge ergibt sich eine völker­recht­li­che Verant­wort­lich­keit durch Beihilfe zum völker­recht­li­chen Delikt, wenn

  1. Dieser Staat Kennt­nis über die völker­rechts­wid­ri­gen Umstände hat und trotz­dem Beihilfe leis­tet und
  2. das Handeln völker­rechts­wid­rig wäre, wenn es dieser Staat selbst bege­hen würde.

Eine völker­recht­li­che Verant­wort­lich­keit Deutsch­lands in Form von Beihilfe ergibt sich demnach dann, wenn eine völker­rechts­wid­rige Hand­lung der Türkei („Haupt­tat“) vorliegt. Die Beihil­fe­hand­lung ist völker­rechts­wid­rig, wenn sie eine signi­fi­kante Wirkung auf die Haupt­tat hat.

Quelle: Deut­scher Bundes­tag; Darstel­lung STATISTA (in Koope­ra­tion mit stimmtdas.org)

Die Türkei behaup­tet, aus dem natur­ge­ge­be­nen Recht zur Selbst­ver­tei­di­gung gehan­delt zu haben. In einem Papier der Wissen­schaft­li­chen Dienste des Deut­schen Bundes­tags wird aufge­führt, „dass die bloße Belie­fe­rung mit Rüstungs­ma­te­rial als solche […] daher noch keinen Völker­rechts­ver­stoß [begrün­det].“ In diesem Zusam­men­hang vertritt die ILC die Auffas­sung, dass ein Staat, der einem ande­ren Staat mate­ri­elle Unter­stüt­zung bereit­stellt, nicht davon ausge­hen muss, dass diese Unter­stüt­zung zur Bege­hung von Völker­rechts­ver­stö­ßen ausge­nutzt wird.

In einer Stel­lung­nahme des Auswär­ti­gen Amtes zur völker­rechts­wid­ri­gen Hand­lung Deutsch­lands wird betont, dass „die Bundes­re­gie­rung […] eine restrik­tive Rüstungs­ex­port­po­li­tik gegen­über der Türkei [verfolgt]. Zugleich handelt es sich bei der Türkei um einen NATO-Part­ner und wich­ti­gen Verbün­de­ten. Über die Ertei­lung von Geneh­mi­gun­gen für Rüstungs­ex­porte entschei­det die Bundes­re­gie­rung im Einzel­fall und im Lichte der jewei­li­gen Situa­tion nach sorg­fäl­ti­ger Prüfung unter Einbe­zie­hung außen- und sicher­heits­po­li­ti­scher Erwä­gun­gen.“ Weiter­hin wird darauf hinge­wie­sen, dass den Menschen­rech­ten dabei beson­dere Aufmerk­sam­keit gewid­met, die kommen­den Entwick­lun­gen in der Türkei und der Region genau­es­tens verfolgt, sowie die aktu­elle Situa­tion in der Geneh­mi­gungs­pra­xis berück­sich­tigt würde.

Fazit: Deutsch­land lieferte in den Jahren 1982 bis 2011 insge­samt 751 Kampf­pan­zer des Leopard-Typs 1 und 2 an die Türkei. Während im Zuge der Liefe­run­gen des Leopard 1 vertrag­lich fest­ge­hal­ten wurde, dass diese nur zur Vertei­di­gung einge­setzt werden dürf­ten, gibt es eine solche Verein­ba­rung in Bezug auf die Leopard 2‑Panzer nicht. Während der Anfang 2018 begon­ne­nen Inter­ven­tion „Oliven­zweig“ der Türkei im Norden Syri­ens wurden von Deutsch­land gelie­ferte Leopard 2‑Kampfpanzer einge­setzt. Ob Deutsch­land damit völker­recht­lich zur Verant­wor­tung gezo­gen werden kann, ist schwie­rig zu beur­tei­len. Sofern die Türkei nicht völker­rechts­wid­rig gehan­delt hat, kann Deutsch­land nicht der Beihilfe durch Waffen­lie­fe­run­gen belangt werden. Die endgül­tige Prüfung, ob dies der Fall war oder ist, steht noch aus. Einige Indi­zien spre­chen zwar für die Völker­rechts­ver­let­zung, es scheint aber als würde jeder bedin­gende Faktor sowohl von Deutsch­land als auch der Türkei so ausge­legt werden, dass es rein recht­lich nicht möglich ist, Deutsch­land aufgrund seiner Leopard-Kampf­pan­zer­lie­fe­run­gen zu belan­gen. Daher bewer­ten wir die umstrit­te­nen Liefe­run­gen und den Einsatz der Panzer in Syrien mit stimmt und die damit im Zusam­men­hang stehende (poten­ti­elle) völker­recht­li­che Verant­wort­lich­keit Deutsch­lands im Moment mit unprüf­bar.

Weitere Fakten­checks: 

Linda Ruppert

Autor: Linda Ruppert

Linda studierte in Heidelberg Geographie und Politik Wissenschaften (M.Sc.). Seit Anfang des Jahres promoviert sie an der Universität Freiburg zum Thema der Geopolitischen Rolle Deutschlands. Warum bei stimmtdas.org: Hat sich innerhalb ihrer Masterarbeit mit dem politischen Diskurs über Geflüchtete beschäftigt und sich mehrfach gewundert, ob die getroffenen Aussagen so stimmen. Sprache besitzt Macht und besonders politische Sprache zieht Handlungen nach sich. In Zeiten von Fake-News ist sie für Klartext.