Cem Özdemir, Die Grünen

» Die CO2-Emissionen sind 2016 genauso hoch wie 2009, das heißt: Deutschland hat unter Merkel acht Jahre nichts getan«

Die vom Spit­zen­kan­di­da­ten der Grünen, dass die CO2-Emis­sio­nen in Deutsch­land genauso hoch seien wie 2009, stimmt, ist aber irre­füh­rend. Der Vergleich zu 2009, dem Jahr der Wirt­schafts­krise, ist proble­ma­tisch. Özde­mir verwen­det einen Ausrei­ß­er­wert, der auf Grund einer gesamt­wirt­schaft­li­chen Sonder­si­tua­tion außer­halb des Gesamt­trends liegt. 

Die Schluss­fol­ge­rung des Grünen-Poli­ti­kers, in Deutsch­land habe sich unter Merkel acht Jahre nichts getan, muss mit Blick auf den Gesamt­trend rela­ti­viert werden. In seinem Face­book-Post vom 3. Juni bezieht sich Özde­mir auf eine Veröf­fent­li­chung des Umwelt­bun­des­am­tes, die die Entwick­lung der Treib­haus­gas-Emis­sio­nen in Deutsch­land seit 1990 doku­men­tiert. 

Die Zahlen des Umwelt­bun­des­am­tes zeigen, dass sich die für das Jahr 2016 prognos­ti­zier­ten Emis­sio­nen auf unge­fähr 906 Millio­nen Tonnen CO2-Äqui­va­lente belau­fen, also auf dem glei­chen  Niveau wie im Jahr 2009. Zum glei­chen Ergeb­nis kommt eine Studie des Bera­tungs­un­ter­neh­mens arepo consult, welche von der grünen Bundes­tags­frak­tion in Auftrag gege­ben worden ist. Der fakti­sche Aussa­ge­kern von Cem Özde­mir wird somit bestä­tigt.

Aller­dings erweist sich ein Vergleich mit dem Jahr 2009 als irre­füh­rend. Wie die folgende Tabelle zeigt stellte das Jahr 2009 eine “posi­tive” Ausnahme im Zeit­ver­lauf dar, weil der CO2-Ausstoß im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent gesun­ken ist: ein Rück­gang, den man als dras­tisch bezeich­nen könnte. Der starke Rück­gang an CO2-Emis­sio­nen 2009 ist aber nicht auf eine bessere ener­ge­ti­sche Effi­zi­enz oder eine umwelt­freund­li­chere Regu­lie­rung zurück­zu­füh­ren, sondern ist ein Effekt der Wirt­schafts­krise, die Ende 2008 ihren Höhe­punkt erreichte. Demnach wurde die Senkung der CO2-Emis­sio­nen nicht nur in Deutsch­land, sondern in der ganzen EU aufge­zeich­net. “Der starke Rück­gang ist keine Über­ra­schung ange­sichts der Wirt­schafts­krise“, kommen­tierte EU-Klima­kom­mis­sa­rin Connie Hede­gaard in Brüs­sel im Septem­ber 2010. Im Jahr 2010, als sich die Effekte der Wirt­schafts­krise abschwäch­ten, stie­gen die Emis­sio­nen in Deutsch­land wieder auf 941 Millio­nen Tonnen an.

Fazit: Cem Özde­mir vergleicht Emis­si­ons­werte von heute mit Werten des Jahres 2009. Die ange­führ­ten Fakten stim­men zwar, führen aber in die Irre. Daten des Umwelt­bun­des­am­tes zeigen, dass die Treib­haus­gas­emis­sio­nen seit 1990 deut­lich verrin­gert werden konn­ten: im Vergleich zu 1990 sanken die Gesamt­emis­sio­nen um 28 Prozent. Vom Anfang der Merkel-Ära 2005 bis 2016 sind die CO2-Emis­sio­nen von 992 auf 906 Millio­nen Tonnen gesun­ken: das bedeu­tet einen Rück­gang um neun Prozent. Die Aussage sugge­riert, der Ausstoß hätte sich seit­her nicht verän­dert, was nicht korrekt ist.

Korrek­tur: In einer frühe­ren Version dieses Arti­kels wurde vom “Bundes­um­welt­amt” gespro­chen. Rich­tig ist natür­lich “Umwelt­bun­des­amt”.

Francesca Polistina

Autor: Francesca Polistina

Kommt aus Italien, hat Journalismus und Literaturwissenschaften in Italien, Deutschland und Belgien studiert. Derzeit als freie Journalistin und Medienanalystin in Köln tätig. Zeige alle Beiträge von Francesca Polistina

6 Gedanken zu „CO2-Emis­sio­nen sind 2016 genauso hoch wie 2009“

  1. Wow, Alex­an­der, das finde ich dann aber doch ne grenz­wer­tige Ansicht.

    Findest Du denn dann die Abbil­dung “Trend spricht gegen den Diesel” unter http://bit.ly/2uSuBXD legi­tim? Ich nicht, auch wenn ich verstehe, dass es schwie­rig ist, rela­tive Unter­schiede, die klein im GEsamt­kon­text sind, zu visua­li­sie­ren. Zumin­dest eine unter­bro­chene Y‑Achse wäre nicht komplett abwe­gig gewe­sen…

  2. die grafik fällt aber auch unter das label “stimmt, führt aber in die irre”, oder? (ich nehme zumin­dest mal an, dass die zahlen stim­men). aber warum sie ausge­rech­net 1990 anfängt, wurde ja schon gefragt/bemängelt. warum aber verzerrt sie den rück­gang, indem die y‑achse einfach irgendwo, nämlich bei 850000, und nicht fach­ge­recht bei 0, beginnt?

    1. Lieber Matthias,

      Als derje­nige, der diese Grafik erstellt hat, will ich auf deinen Hinweis kurz antwor­ten. Guter Punkt wie ich finde.
      Bei Grafi­ken hat man ja immer die Möglich­keit, die Skalie­rung der Y‑Achse auf den empi­ri­schen Werte­be­reich zu beschrän­ken oder diese bei Null begin­nen zu lassen. Die Achse bei 0 begin­nen zu lassen hat den Vorteil, dass man die Größen­ord­nung der Verän­de­rung (im Vergleich zur 0) besser einschät­zen kann. Beschränkt man, wie hier, die y‑Achse auf die beob­ach­te­ten Werte erweckt man oft den Eindruck großer abso­lu­ter Verän­de­run­gen selbst wenn die tatsäch­li­chen Verän­de­run­gen klein sind. Inso­fern kann eine solche Grafik, in der Tat, dem “Lügen mit Statis­tik” (Walter Krämer) dienen.

      In meinen Augen stehen hier eher die rela­ti­ven Verän­de­run­gen im Mittel­punkt. Insbe­son­dere was im Refe­renz­jahr 2009 gesche­hen ist, soll kontex­tu­ell einge­ord­net werden können. Das ermög­licht diese Grafik und wäre bei einer y‑Skala bis 0 schwie­rig möglich, da dabei Verän­de­run­gen über die Zeit nur winzig zu erken­nen gewe­sen wären.

      Was den Beginn im Jahr 1990 angeht: Meines Wissens handelt es sich dabei um das übli­che Refe­renz­jahr, auf das man in Klima­dis­kus­sio­nen Bezug nimmt. Irgend­ein Start­jahr muss gewählt werden und dieses scheint mir vertret­bar.

  3. zu Herrn Gesthui­zen: Dass die Deindus­tria­li­sie­rung der ehema­li­gen DDR einen “posi­ti­ven” Effekt hatte, ist anzu­neh­men. Aller­dings kam mit der “Wieder­ver­ei­ni­gung” eben­falls der Eintritt in die EU und damit eine deut­lich akti­vere Umwelt­schutz­po­li­tik in besag­ten Gebie­ten. Außer­dem würde ich die steile These aufstel­len, dass die wach­sende Verbrei­tung von West-Autos, den Verkehrs-CO2-Ausstoß gestei­gert hat.
    genug der Vermu­tun­gen: Die Grafik belegt, dass der CO2-Ausstoß bis auf die letz­ten Jahre recht konti­nu­ier­lich fällt.

  4. Schöne Einord­nung, der Vergleich belie­big heraus­ge­grif­fe­ner Zahlen ist meist Irre­füh­ren. Leider führt der Text oben aber selbst ein Wenig in die Irre. Der Vergleich mit 1990 ist aus zwei Grün­den nicht ange­bracht.
    1) Es um die Amts­zeit von Angela Merkel, die war damals bekann­ter­ma­ßen damals noch nicht im Amt.

    2) Der Groß­teil des Rück­gangs der CO2-Emis­sio­nen von 28 % seit 1990 ist durch den Zusam­men­bruch der inef­fi­zi­en­ten Wirt­schaft in den alten Bunde­l­än­dern in den 90er bis mitt­le­ren 2000er-Jahren bedingt, hat also nichts mit Umwelt oder Ener­gie­po­li­tik zu tun. Das ist ein reiner Mitnah­me­ef­fekt.

    Außer­dem ist es eigent­lich nicht mehr korrekt zu sagen, wenn die Wirt­schaft wächst, stei­gen auch die Emis­sio­nen. Das Ziel der Klima­ab­kom­men von Paris und Kyoto war es ja, Emis­sio­nen und Wirt­schafts­wachs­tum zu entkop­peln.

    Die Emis­sio­nen müssen also auch dann sinken, wenn die Wirt­schaft wächst. Dazu hat sich auch die Bundes­re­gie­rung verpflich­tet, anders sind die Klima­schutz­ziele ja nicht zu errei­chen.
    Ozed­mirs Aussage bleibt damit natür­lich trotz­dem Miss­ver­ständ­lich, aber in der Tendenz hat er schon recht, es ist gemes­sen an den eige­nen Zielen wenig passiert.

    1. Wir haben aber neben dem Wirt­schafts­wachs­tum auch einen unge­plan­ten Bevöl­ke­rungs­zu­wachs durch Migra­tion. Der muss sich auch auf die Ener­gie­bi­lanz auswir­ken.

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